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NÖ Ärztekammer schlägt Alarm: Notärztemangel mittlerweile dramatisch

Presseinformation vom 12. August 2022

Es braucht dringend Lösungen, Ärztekammer sucht Gespräch mit allen Beteiligten

Kommt es in Niederösterreich zu einem medizinischen Notfall, wird in der Regel der nächstgelegene Rettungsstützpunkt alarmiert und der diensthabende Notarzt kommt so rasch wie möglich zum schwer Erkrankten bzw. Verunfallten, um erste notärztliche Maßnahmen zu setzen. „Leider läuft es in letzter Zeit nicht immer so, denn der nächstgelegene Stützpunkt ist immer öfter unbesetzt oder der diensthabende Notarzt ist bei einem anderen ärztlichen Notfall viele Kilometer entfernt im Einsatz“, umreißt der Präsident der Ärztekammer für Niederösterreich, Dr. Harald Schlögel, die dramatische Situation des akuten Notärztemangels. „Je dünner die Stützpunkte besetzt sind, desto länger sind die Anfahrtswege und desto unwahrscheinlicher ist es, eine freie Notärztin bzw. einen freien Notarzt anzutreffen. Arbeitsdichte und Belastung in dieser Spezialdisziplin werden immer höher, was den Mangel an Notärztinnen und Notärzten weiter verschärft. Wir sehen die Sicherheit und das Leben des Einzelnen bei einem medizinischen Notfall deutlich gefährdet. Deshalb brauchen wir jetzt und nicht erst morgen eine Lösung, an der alle Beteiligten zusammenarbeiten müssen“, fasst Schlögel den Ernst der Lage zusammen.

Vielfältige Gründe als Ursache für den Mangel

Ein Mangel entsteht selten von heute auf morgen, so auch im Notarztwesen. Seit mehreren Jahren steigt das Durchschnittsalter der Notärztinnen und Notärzte kontinuierlich an. Es gehen seit einigen Jahren mehr Notärztinnen und Notärzte in Pension als neue nachkommen. Dieser Trend dürfte sich in nächster Zeit noch massiv verstärken. „Der Grund dafür ist u.a. eine Änderung der Ausbildung, die seither extrem aufwendig geworden ist. Insbesondere der erstmalige Zugang zum Notarztsystem für bereits berufsberechtigte Ärztinnen und Ärzte ist massiv erschwert: Es dauert für diese Gruppe nach dem sechsjährigen Studium, der dreieinhalbjährigen Ausbildung zum Allgemeinmediziner bzw. der sechsjährigen Ausbildung zum Facharzt weitere drei Jahre auf einer Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin, um das Dekret zum Notarzt bzw. der Notärztin zu erhalten. Dazu kommt, dass das Verhältnis zwischen psychischer bzw. physischer Belastung und Honorierung nicht passt. Während ein Arzt für die Aufklärung zur Corona-Schutzimpfung vom Bund 150,- Euro pro Stunde an Honorar erhält, bezahlt das Land nur knapp ein Drittel dieser Summe für den oft lebensrettenden und für den Notarzt sehr belastenden Einsatz. Selbst für Wochenend-, Nacht- oder Feiertagsdienste erhalten die Notärztinnen und Notärzte keinerlei Zuschläge“, erläutert Dr. Franz Tödling, Leiter des Referats für Notfall- und Rettungsdienste, Katastrophenmedizin und Bereitschaftsdienst in der Ärztekammer für NÖ und selbst leitender Notarzt. Er ergänzt weiters: „Doch es ist wie oben erwähnt bei weitem nicht nur das finanzielle Ungleichgewicht, das in den letzten Jahren während der Pandemie entstanden ist und zu dieser dramatischen Lage geführt hat.“

Kurzfristige Lösung dringend nötig, um menschliche Katastrophe und Leid zu verhindern

Noch im August sollen Vertreter des Landes, der Rettungsorganisationen und der Ärztekammer für NÖ zusammenkommen, um Sofortmaßnahmen bis hin zu langfristigen Lösungen zu erarbeiten. Tödling meint dazu: „Es gibt das Pilotprojekt der Telemedizin, das bereits im Bezirk Tulln im Einsatz ist und wissenschaftlich ausgewertet wird. Als Überbrückungsmaßnahme könnte ich mir vorstellen, dieses unterstützende Tool auf ganz Niederösterreich auszuweiten. Ein bis zwei Notärztinnen oder Notärzte in Niederösterreich könnten über eine App, über die vor allem schriftlich kommuniziert wird, mit Sanitäterinnen und Sanitätern vor Ort verbunden sein, um erste Maßnahmen abzuklären und Entscheidungen für ein weiteres Vorgehen zu treffen. Weiters wird das Land sehr kurzfristig die Honorierung an vergleichbare ärztliche Tätigkeiten anpassen müssen, um weitere personelle Abgänge abwenden zu können. Mittelfristig wird man auch darüber nachdenken müssen, die Rettungsstützpunkte zu bündeln, damit diese wieder 24 Stunden und sieben Tage die Woche besetzt sind. Und zu guter Letzt brauchen wir eine Ausbildung zum Notarzt bzw. zur Notärztin, die es jungen Kolleginnen und Kollegen ermöglicht, unkompliziert und effizient in dieses Berufsfeld einzusteigen und damit die fehlenden Dienste zu besetzen.“

Der Erhalt der notärztlichen Expertise am Notfallort hat oberste Priorität. Nur so kann die Bevölkerung in Niederösterreich bei einem Notfall darauf vertrauen, von höchstqualifizierten Ärztinnen und Ärzten erstversorgt und erstbehandelt zu werden. „Gerade im Notfall können die richtigen Entscheidungen Leben retten. Wir rufen daher alle am Notarztsystem Beteiligten auf, an einem Strang zu ziehen und ein Forderungspapier zu erarbeiten, um das Notarztsystem in Niederösterreich zu erhalten“, meint Schlögel abschließend.